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Gespräch mit Max aus Pasewalk
Kartenspiel „deep impact Stadt Land“

Max: Ich nehme also eine Karte und rede über eine Karte oder lasse ich mich inspirieren?

Jule Torhorst: Wie du möchtest. Guck mal diese Karte! Da du ja von hier kommst, wie ich gehört habe, würde mich das am allermeisten interessieren: „Welche Weisheit würden Sie mir als Theatermacherin aus der Stadt mitgeben?“

Max: Also, wie ich das hier in Bröllin miterlebt habe oder immer wieder auch in anderen ländlichen Kontexten miterlebe: wenn man mit gutem Willen Kultur aus der Stadt aufs Land bringen möchte, dann passiert das oft damit, ohne die Leute abholen zu können. Aus verschiedenen Gründen, was dann auch, glaube ich, frustrierend ist. Und ich glaube, die Kunst ist irgendwie so die Balance zwischen: Es also nicht zu plakativ zu gestalten, aber auch nicht zu hochtrabend.

Also ist so ein bisschen die Frage: Wie hole ich die Menschen ab, in welchen Kontext setze ich mein Stück? Und was für Handwerkszeug gebe ich den Menschen, bevor ich starte. Ja, vielleicht auch so. Also was erkläre ich, also so ein bisschen, inwieweit greife ich vor oder wie catche ich die Leute eigentlich und… genau, sich so in den Alltag der Leute auch hineinversetzen. Ganz wichtig finde ich auch immer den Bildungszugang, also was für Bildungszugänge haben verschiedene Menschengruppen und damit auch mehr zu arbeiten.

Aber das ist, glaube ich, das ist ja genauso schwer, das zu wissen, das umzusetzen, meine ich, auch mit dem Versuch oder mit dem Ansatz. Und welche Weisheit würde ich einer Theatermacherin aus der Stadt mitgeben? Ja, in dem Sinne, ich weiß gar nicht, ob es eine Weisheit ist: Versuchen, barrierefrei zu agieren irgendwie und barrierefrei neu zu denken.

Jule Torhorst: Was bedeutet: Barrierefrei? In diesem Kontext?

Max: Das müsste man sich fragen, was gibt es für Barrieren zwischen Stadt und Land?

Jule Torhorst: Meinst du Barrieren in Hinblick auf Bildung?

Max: Genau, Klassen, vielleicht auch klassistische Hintergründe, ja, Zugänge zu Themen, was für Themen bearbeite ich? Was ist meine Intention, was will ich als theatermachende Person? Aber wo steckt jetzt die Weisheit in dem, was ich sage? Das muss ich jetzt herausfinden.

Jule Torhorst: Ja, du hast jetzt grade so ziemlich alle Fragen des Labors nochmal so hochgeholt, total. Also das sind genau diese Knotenpunkte, auf denen wir auch grad noch rum kauen.

Max: Vielleicht frage ich mich das selbst und komme irgendwie auch noch spontan auf eine Weisheit. Vielleicht nicht verraten, dass man aus der Stadt kommt?

Jule Torhorst: Ja, das hilft immer, wenn man es denn verbergen kann. Wenn ich jetzt sagen würde, ich komme ja hier aus Fahrenwalde, da bin ich ja sofort der Lüge bezichtigt, weil mich niemand kennt. „Wo haben sie dich denn versteckt?“

Max: Ja, genau.

Jule Torhorst: Also das heißt, so wie ich es verstehe, also wenn man jetzt in einer Theaterproduktion denkt, dass man genau durch dieses Nadelöhr durchmuss. Für wen mache ich es eigentlich? Was will ich eigentlich? Was für Themen suche ich mir aus, passen die hier rein? Und wenn ich rausgefunden habe, für wen ich es mache, könnte diejenigen das Thema interessieren? Oder kann ich, wenn ich ein eigenes Thema mitbringe, dann die Darstellungsart so anpassen, dass es die doch auch interessieren kann, weil ich es ja auch für sie mache?

Max: Ja, ja und einen Bezug herstellen, dachte ich grade auch, also Anknüpfungspunkte schaffen. Also ich bin mir gar nicht sicher, ob ich überhaupt Weisheiten formulieren kann, weil ich nicht weiß, was Weisheit ist, irgendwie.

Jule Torhorst: Da kommen wir ja von einem Topf zum anderen.

Max: Aber trotzdem, ist ja spannend, darüber nachzudenken. Anknüpfungspunkt im Sinne von, wie so Startpunkte. Also von wo aus sind wir gleich, wo haben wir gleiche Ebenen und von wo aus kann ich etwas mitnehmen zu Punkten, wo ich hingehen möchte. Das ist ja irgendwie auch vielleicht ein interessantes Bild so, als Bild zu denken. Welche Weisheiten hast du denn schon gehört? Hast du schon Weisheiten gehört?

Jule Torhorst: Nee, wir haben leider nur Fragen.

Max: Ja, gut.

Jule Torhorst: Wir haben keine Antworten. Nee, es ist ja immer der Prozess, also wenn man sich rein begibt, ist es der Prozess, das genau rauszufinden, um eine gewinnbringende und sinnvolle Arbeit zu machen, die auch das Publikum findet.

Max: In dem Labor, wenn es jetzt hier um Experimentieren geht, dann ist ja immer ganz wichtig, im Vorhinein sich klarzumachen, was sind meine Variablen, was sind meine Konstanten? Also was wird sich nicht verändern und was sind meine Parameter? Also eigentlich, wo sind meine Drehknöpfe, also zum Beispiel Länge des Stücks oder wie kurzatmig, wie langatmig? Die ganzen Dinge kann man ja so einstellen, dass sie quasi die Intention treffen.

Jule Torhorst: Von wo genau kommst du?

Max: Ich komme aus Pasewalk ursprünglich.

Jule Torhorst: Aus Pasewalk, okay. Und wenn du jetzt die Pasewalker und die Umgebung, die du ja erlebt hast, betrachtest, was denkst du, was sich auf dem Land nicht verändern wird, mit dem wir als Künstler*innen umgehen müssen?

Max: Ja, ich hätte jetzt fast gesagt, also es ist auf jeden Fall nicht leicht, Zugang zu finden, weil, ich glaube ja, der künstlerische Alltag oft in den Kleinstädten und Dörfern fehlt und der Zugang dazu irgendwie schwieriger ist oder abschreckend sein kann oder so ein fremdes Gefühl erzeugt. So, da kommen die aus der Stadt, und was wollen die hier überhaupt. Also, so eine fast szenophobische Eigenschaft, die da mitwirkt, finde ich. Also auch das Desinteresse an Orten wie diesen hier. (Meint Schloß Bröllin)

Also, meine Familie hat mich jetzt nicht in die alternative Kultur geleitet, da habe ich mich selber hingebracht, habe ich so das Gefühl. Und hab meine Familie dann im Nachgang noch so ein bisschen mitgenommen. Meine Mama so, denke ich, die jetzt grad hier ist.

Jule Torhorst: Ist deine Mutter auch hier?

Max: Die hat heute hier eine Tanzperformance.

Jule Torhorst: Ist die schon vorbei?

B: Ja, die ist vorbei. Deswegen war ich auch so spät, weil die so lang ging und dann bin ich in die falsche Tür rein gehüpft und dann war ich hier erst. Genau, ja, also ich weiß es auch nicht, was besser wäre, also was so die Weisheiten wären, wie man mehr die Leute erreichen kann so. Weil, das ist ein super komplexes Problem, glaube ich, diese Kluft oder das Misstrauen. Ich glaube, da ist viel Misstrauen und Angst, was so bei den Leuten ist… oder, weiß ich auch nicht. Also Kulturfaulheit auch, dass die Leute zuhause bleiben und denken, ach, nee. Wie gesagt, dass sie Zugang zu der Form von Kultur haben, wie Theater und etc.. Dann lieber Netflix-Serien gucken oder irgendwas einfacheres, also konsumieren eigentlich eher, als sich mit Themen auseinandersetzen und konfrontativ sein.

Jule Torhorst: Das hat sich auch jetzt durch die letzten zweieinhalb Jahre Pandemie vertieft. Geht mir ja selbst so.

Max: Ist das gleich vorbei hier? Wie lange geht denn das jetzt noch? Ja, dieses Phänomen habe ich… [zeigt auf den Boden des Kekses im Teller] … kann man das mitessen?

Jule Torhorst: Eine Oblate.

Max: Ach, echt? Ach so.

Jule Torhorst: Du bist wohl kein Kirchgänger?

Max: Ich dachte, das wäre so Papier. (…)